Ein Henker kommt in eine Stadt und richtet dort nach und nach die Einwohner hin. Zunächst einen Mann aus einem ungenannten fremden Land, als Zweiten dann einen Juden. Die verängstigte Masse hält still, hofft doch jeder, dass er davonkommen könnte. Ein Irrtum: Alle werden getötet, als Letzter ist auch das lyrische Ich an der Reihe.
Dem düsteren Thema zum Trotz kann ich das 1964 verfilmte Gedicht „The Hangman“ von Maurice Ogden nicht oft genug sehen. Und vor allem hören – die Kombination der Sprecherstimme (Herschel Bernardi) und der Musik des Arnold-Schoenberg-Schülers Serge Hovey ist einfach zu schön, ja fast hypnotisch.
Edit: Das YouTube-Video wurde gelöscht. Eine weitere Quelle findet sich im letzten Absatz.
Die montierten Comic-Zeichnungen wirken seltsam vertraut. Nicht von ungefähr: Paul Julian, neben Les Goldman Regisseur des Films, hat für Figuren wie Bugs Bunny und Duffy Duck in der Zeichentrickserie „Looney Tunes“ die Hintergründe gezeichnet. Angeblich war der Zeichner auch Inspiration für das „Beep, beep“ von Road Runner, weil er auf dem Parkplatz von Warner Bros. mit diesen imitierten Huptönen andere Autofahrer zum Platzmachen animierte.
Das Schweigen der Komplizen
Ogdens Gedicht und der Film werden in der englischsprachigen Welt im Schulunterricht verwendet, um einen Zugang zu den Themen Fremdenhass und Antisemitismus zu vermitteln. Die Aussage des Gedichts erinnert dabei an den viel zitierten und oft abgewandelten Ausspruch des evangelischen Pfarrers Martin Niemöller, der zunächst NSDAP-Anhänger war, bis er 1937 selbst im KZ landete:
Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschafter. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.
(Es gibt dieses Zitat in verschiedenen Versionen. In manchen werden auch die Juden genannt. Obiges wurde laut Martin-Niemöller-Stiftung von Niemöller 1976 autorisiert.)
Faschismus zum Mitmachen
Die Allegorie vom Henker als Verkörperung eines Bösen, das von außen in eine Gemeinschaft eindringt und durch Terror Menschen zu Komplizen macht, ist als Faschismus-Analyse etwas sehr kurz geraten. Man kennt diese suggestive Formel schon aus unzähligen Geschichtsdokumentationen zum „Dritten Reich“. Immer wieder wird die Mär vom Duckmäusertum einer passiven, zugleich verängstigten und verführten Masse erzählt. Der Grund für die angebliche Verführung wird dann gleich mitgeliefert (und mitunter für heutige Zeitgenossen erlebbar und nachvollziehbar gemacht) – durch Filmaufnahmen, die direkt aus dem Fundus der NS-Propaganda stammen.
Eine Gegenstimme: Der Historiker Götz Aly zum Beispiel argumentiert in seinem Buch „Hitlers Volksstaat“ (2005), dass auch Deutsche, die keine überzeugten Nazis waren, Vorteile aus der antisemitischen Vernichtungspolitik und dem Eroberungskrieg zogen: „Den einfachen Leuten ging es im Nationalsozialismus gut. Sie haben gerne mitgemacht und vom Krieg profitiert.“ (Aly im „taz“-Interview).
Trotzdem: Wenn man von „The Hangman“ nicht fordert, was Pädagogen hineinlegen, bleibt er: ein atmosphärisch gelungener Kurzfilm. Das Video gibt es in verschiedenen Qualitätsstufen zum Herunterladen oder Einbetten bei Archive.org.