Aufregenden neuen Entwicklungen in der Gesellschaft droht oft das gleiche Schicksal: Zentralisierung, Kommerzialisierung und Ausverkauf. Eine Mehrheit von Verlierern schart sich um wenige Profiteure. Warum sollte das bei Blogs anders sein?
Nach der Vielfalt der Anfangszeit droht in der Blogszene das Einerlei. Das meint Nicholas Carr, Autor des pessimistischen „Atlantic“-Artikels „Is Google Making Us Stupid?“, der im Sommer 2008 viel diskutiert wurde und vermutlich auch Vorlage für den „Spiegel“-Titel „Macht das Internet doof?“ bot. Carr schreibt in seinem Blog Rough Type, die „blogosphere“ gehe im englischen Sprachraum gerade in eine Mainstream-Phase über. Einige Große seien die Gewinner, der Rest verschwinde aus dem Blickfeld.
Man kann Carr in seiner Bescheibung der Lage durchaus folgen: Den professionell geführten Blogs, die immer mehr wie Magazine wirken – überladen mit Bildern und Werbung – und die Rankings anführen, steht eine wachsende Anzahl von kleinen, persönlichen Blogs gegenüber, die nicht mehr wahrgenommen werden – weil sie von den Big Shots auf Suchmaschinen wie Technorati verdrängt werden. Oder schon zu „Karteileichen“ geworden sind, vernachlässigt, nur noch sporadisch mit Beiträgen versorgt oder gar nicht mehr. Eine Verfallsgeschichte.
Mehr lesen: meine Erfahrungen mit der Google-Indexierung und dem Long-Tail-Effekt.
Aber ist es nicht voreilig, ein technisches und soziales Phänomen mit Blick auf Charts-Platzierungen für erledigt zu erklären? Schließlich wird doch niemand der Account gekündigt, nur weil sich in der Ökonomie der Aufmerksamkeit einige wenige durchsetzen.
Wer mit seinem Blog auf ein Spezialthema setzt, kann sich sowieso nicht darauf verlassen, dass ihm Google mit der Zeit ein treues Publikum zuspielt (worauf selbst mancher SEO-Blogger hinweist). Die meisten Gelegenheitsnutzer des Internets, die über eine Google-Suchanfrage auf einem Blog landen, wissen womöglich gar nicht, was sie vor sich haben, etwa dass der einzelne Beitrag, den sie aufgerufen haben, Teil eines vernetzten Ganzen ist.
Rächer der enterbten Blogger
Im deutschsprachigen Raum, wo die Sache noch gar nicht ins Rollen gekommen ist, rangiert in den Charts ebenfalls eine kleine Anzahl von Blogs in der Aufmerksamkeit der Leser vor dem Mittelbau, also vor den Webseiten, auf denen zwar regelmäßig veröffentlicht wird, deren Besucherzahlen aber überschaubar bleiben. Als ich vor etwa einem Jahr das Web 2.0 entdeckt hatte, hatte ich mich ebenfalls erst auf die bewährten Größen verlassen, die sogenannten Alpha-Blogs, ich wollte mich ja erst mal umsehen.
Mittlerweile lösche ich die Feed-Abos nach und nach in meinem RSS-Reader. Ich muss nicht vier Medien- oder Geekblogs, die nur aufeinander verweisen, gleichzeitig lesen. Es langweilt. Auch nervt mich die Selbstinszenierung einiger ihrer Betreiber: Leute, die sich als Rächer der enterbten Blogger geben, den Duellhandschuh ins Gesicht der bösen Presse „da oben“ schlagen – und zugleich ihren eigenen Kommentarteil auf nofollow
gesetzt haben, damit kein Tröpfchen „linkjuice“ verloren geht. Die Rebellenpose ist wie so oft purer Populismus. Dahinter verbirgt sich ein kleinlich kalkulierender Buchhalter.
Ich neide den Großen den Erfolg nicht – Blogleser, für die die Beobachtung, dass ein deutscher Politiker Twitter benutzt, eine interessante Neuigkeit darstellt oder gar einen Bewertungsmaßstab für diese Person, werden auf Texts for Robots sowieso nichts finden, womit sie etwas anfangen können. Das soll kein Vorwurf sein, es ist klar, dass in einer Situation, in der Blogs hierzulande vor allem von einer technikaffinen Gruppe betrieben und gelesen werden, solche Themen eben populär sind. Auch in ihrer leichten, der Klatschvariante.
Hype um des Hypes willen
Der Hype um einzelne große Blogs in Deutschland und die Aufmerksamkeit, die sie anziehen, erinnern mich an eine Szene aus Don DeLillos Roman „White Noise“(1985). Der Icherzähler und ein Freund von der Universität, an der er lehrt, unternehmen darin einen Ausflug zu einer Sehenswürdigkeit, die von Jean Baudrillards Medientheorie inspiriert ist: „the most photographed barn in America“, die am meisten fotografierte Scheune von Amerika. Das Gebäude, das sich im Grunde in nichts von anderen Holzverschlägen unterscheidet, ist eine Touristenattraktion – weil es eben von Touristen gern besucht und abgelichtet wird. „They are taking pictures of taking pictures.“
Nachtrag, 12. Oktober 2017: Ich habe diesen Text von 2008 leicht überarbeitet und die Links erneuert, da hier weiterhin regelmäßig Besucher vorbeischauen. Er bietet eine Rückschau auf eine Diskussion, die heute ganz anders geführt wird, schon wegen des Einflusses von Social Media. Zum nofollow
-Attribut habe ich nach jahrelanger Erfahrung mit Blogkommentaren mittlerweile eine andere Meinung.