Elias Canetti deutet in „Masse und Macht“ die Schwärme von Ungeziefer, die ein Alkoholkranker im Delirium tremens halluziniert, als „Modell für die Dynamik der Macht“: Ein Einzelner sieht sich einer Masse nichtswürdiger Geschöpfe gegenüber. Neben dem Typus des Überlebenden, dessen Machtgefühl mit den Leichenbergen um ihn herum wächst, ist auch der paranoide Herrscher, der aus Angst um sein Leben vorsorglich sein Reich entvölkert, eine weitere prägnante Figur aus der Galerie monströser Machthaber in Canettis Buch.
Mir scheint, als würden in manchen „Überlebenden“ der 60er-Jahre-Gegenkultur all diese Gestalten symbolisch zusammenkommen. Bei Dennis Hopper zum Beispiel. Die Filmaufnahmen zu „Easy Rider“ (1969), dessen Erfolg die Studiobosse des alten Hollywoods schwindelig machte und die kurze, aber für das US-Kino bedeutende Phase des New Hollywood einleitete, war für die Beteiligten ein Horrortrip. „Er hält sich für einen großen Künstler und seine Mitstreiter für Sklaven. Hopper säuft, brüllt und fuchtelt mit Waffen herum. Das Filmteam ist eingeschüchtert: Man weiß, dass er seine Frau schlägt.“ (Für den Fluter.de-Artikel über das Roadmovie, aus dem das Zitat stammt, hatte ich mich durch Peter Biskinds „Easy Riders, Raging Bulls“ gekämpft.)
Auf dem Highway in den Dritten Weltkrieg
Auf Sueddeutsche.de gibt es anlässlich von Wim Wenders neuem Film „Palermo Shooting“ ein Interview mit Hopper über seine vergangenen Abstürze mit Drogen und Alkohol.
SZ: Erinnern Sie sich … an den Moment in Mexiko, wo Sie im Delirium eine Armee versammeln wollten?
Dennis Hopper: Leider ja. In meinem Kopf hatte der Dritte Weltkrieg begonnen, die Russen hatten die USA erobert, ich musste Truppen rekrutieren, um sie zurückzuerobern. Zu diesem Zweck lief ich splitternackt auf dem Highway in Mexiko entlang, bis die Polizei mich festnahm. In der Zelle gingen die Halluzinationen weiter, in den Nachbarzellen wurden meine Freunde umgebracht, und so fort. Es dauerte leider viel zu lange.
Fremde Invasoren, imaginäre Massen, sterbende Freunde: In Hoppers Kontrollverlust ist alles da, was man als Alleinherrscher über seinen Wahn braucht. (1985 wurde Hoppers Trinker-Fantasie unbeabsichtigt als „Invasion USA“ verfilmt, allerdings mit Chuck Norris in der Hauptrolle. Unfassbarer deutscher Trailer für Tele 5.)
Rambo, Beschützer der Karen Twins
Für andere genügt schon das Rauschmittel Aberglaube, um sich an die Spitze einer gigantischen Armee zu träumen. Die Zwillingsbrüder Johnny und Luther Htoo, zwei verpeilte, minderjährige Guerilla-Führer aus dem Volk der Karen, erzählten einem westlichen Reporter an ihrer Seite stünden im Dschungel „Zehntausende unsichtbarer Soldaten“ im Kampf gegen das birmanische Militärregime.
2000 wurden die beiden Kettenraucher aus den Reihen der Rebellentruppe „God’s Army“ (Reportage auf YouTube), einer Splittergruppe der Karen National Liberation Army (KNLA), für kurze Zeit zu internationalen Medienhelden. Menschenrechtsgruppen warnten damals vor einer Verwandlung von Kindersoldaten in Glamour-Icons – aber ich muss zugeben, dass mich die TV-Bilder und die Legenden um die sogenannten Karen Twins ebenfalls fasziniert hatten. Die beiden hätten magische Kräfte, sagten ihre Mitstreiter, wer an ihrer Seite kämpfe, sei unverwundbar.
Mittlerweile haben die Karen – zumindest im Kino – von einer unbesiegbaren Ein-Mann-Armee Unterstützung erhalten: Sylvester Stallone kommt ihnen in „John Rambo“ (2008) zur Hilfe. Der ausgebrannte Vietnamveteran, der in diesem Film erkennt, dass er das Töten selbst liebt, richtet fast im Alleingang ein Massaker unter unzähligen birmanischen Soldaten an.
Regisseur und Hauptdarsteller Stallone betonte hinterher, die Drehaufnahmen in Thailand, nahe der Grenze zu Birma, seien von Todesdrohungen überschattet gewesen – vermutlich auch, um wegen der filmischen Zweitverwertung des Themas nicht als Kriegsgewinnler dazustehen.
Nomen est omen: Einer der Kämpfer aus der Htoo-Truppe, er diente den Jungs als Leibwächter, nannte sich Rambo.