Ich bekomme keine Spammails mehr, seit etwa zwei Wochen herrscht Ruhe im Isotank meines GMX-Accounts. Dass sie mir fehlen, durfte ich vor drei Tagen bemerken: Da verhakte sich doch noch mal eine E-Mail im Spamfilter – hungrig nach Neuigkeiten öffnete ich sie sofort. Wie hat sich die Finanzkrise mittlerweile auf die V_agra-Preise ausgewirkt? Wie heißen die aktuell heißesten Girls aus Osteuropa?
Die Enttäuschung: Es war doch nur die Information, dass ich noch eine allerletzte Chance habe, den Newsletter einer obskuren „Kunst Bewegung“ abzubestellen (den ich freilich nie bestellt hatte).
Was ist also los? Haben etwa die nigerianischen Spamautoren die Arbeit eingestellt? Sind sie nun gewerkschaftlich organisiert und befinden sich im Streik? Wo bleiben die melodramatisch erzählten Schicksale von blutjungen Frauen, unverschuldet in allertiefste und bitterste Not gestürzt, die nur ich retten kann? Wofür ich ein paar lumpige Euro überweisen muss, damit sie die unermessliche Erbschaft, die auf einem Londoner Konto auf sie wartet, endlich in ihre zitternden Arme schließen können. (Nachzulesen ist eine Auswahl der E-Mails mit Fake-Geschichten im Nigeria-Connection-Archiv.)
Die besten Geschichten kommen sowieso aus Afrika. Was interessiert es mich, wenn die Coen-Brüder wieder mal das Genre des Gangsterfilms dekonstruieren, und vor Somalia überfallen und kidnappen Piraten Schiffe voll Waffen und randvoll mit Öl. Das sind Storys.
Womöglich haben auch andere dieses kreative Potenzial erkannt. Und irgendwo in Nigeria läuft gerade das Projekt einer NGO, das Spamschreiber zu Drehbuchautoren umschult.
Die könnten dann wiederum Entwicklungshilfe für das deutsche Kino leisten.
Nachtrag: Die amerikanische Bundesbehörde Internet Crime and Complaint Center (IC3) listet in ihrer Studie von 2008 zur globalen Internetkriminalität Nigeria auf Platz drei, hinter den USA und Großbritannien. Dass aber in erster Linie das afrikanische Land in der öffentlichen Wahrnehmung gleichbedeutend mit Internetbetrug geworden ist, stellt ein Imageproblem dar.
Die nigerianische Electronic and Financial Crimes Commission (EFCC) versucht deswegen, medienwirksam gegen die Betrüger vorzugehen, die vor allem in Festac Town im Bundesstaat Lagos von Internetcafés aus ihren Spam in die ganze Welt verschicken. Hier ist ein Bericht über das Vorgehen der Behörde.