Ein plötzlicher Einfall, während ich heute die staatstragende Dichterlesung Elizabeth Alexanders nach Barack Obamas Rede zum Amtsantritt hörte: Könnte hier nicht Allen Ginsberg stehen und sprechen, wäre er noch am Leben?
Der Beat-Poet würde die finsteren Bilder, die der neue US-Präsident beschworen hat von George Washington, der im blutgetränkten Schnee steht und in die kalte Nacht starrt, mit ein bisschen fröhlichem Hare-Krishna-Gebimmel vertreiben.
Dann würde er Obamas Ankündigung, dass man mit den Feinden reden müsse, aufgreifen und Stellen aus „To the Angels“ vorlesen. Mit diesem Gedicht wollte der Dichter Ende der 60er-Jahre die Bikergang Hells Angels davon überzeugen, von ihren Angriffen auf Vietnamkriegsgegner zu lassen.
Und die Wirtschaftskrise würde Allen Ginsberg mit einer Zeile aus „America“ quittieren: „When can I go into the supermarket and buy what I need with my good looks?“ Eine berechtigte Frage.
Während ich diesen Eintrag schrieb und ein wenig im Netz recherchierte, musste ich feststellen, dass jemand anders vor mir die Idee hatte, sich Ginsberg als „inaugural poet“ vorzustellen – der amerikanische Dichter Charles Simic. Nachzulesen in der „FAZ“: „Verse für Obama“. Ich nehm’s sportlich, Mr. Simic!
Update, 21. Januar: Der Text des Gedichts „Praise Song for the Day“ von Elizabeth Alexander.
Update, 22. Januar: Das Blog des Radiosenders WFMU aus New Jersey ist nicht so angetan von Alexanders Gedicht und fordert seine Leser auf, es zu verunstalten umzugestalten: „Remix it, shred it, speed it up, slow it down, reconstruct it, deconstruct it, warp it, bend it, twist it, scream it, rock it, set it to noise, obliterate it“ – die ersten Ergebnisse sind tatsächlich eine Qual.
Und da der Beitrag immer noch munter geklickt wird, gibt es hier ein Update vom 24. Januar: Hannes Stein analysiert Alexanders Werk für „Welt Online“. Sein Urteil: „Das Obama-Gedicht trieft vor Bibelkitsch.“