Der Schweizer Nahost-Korrespondent André Marty richtet in seinem Blog folgenden Hinweis an die Blogger unter seinen Lesern:
Solltet Ihr nächstens von etwas gar einseitigen Kommentaren in Sachen Krieg überschwemmt werden, dann gibt’s dafür eine plausible Erklärung: Das israelische Ministerium für Einwanderung teilte am Sonntag mit, es baue eine „Army of bloggers“ auf … Zusammen mit dem israelischen Aussenministerium werden Freiwillige gesucht, die in verschiedensten Sprachen weltweit in Blogs die israelische Sicht der Dinge darzustellen haben – Blogger’s war. (Edit: Link gelöscht, der Beitrag ist nicht mehr im Netz.)
Diese „PR warfare“, wie die Strategie in einem von Marty verlinkten Artikel der „Jerusalem Post“ bezeichnet wird, könnte man sich als richtig hässliche Angelegenheit vorstellen, als Verstoß gegen all die schönen Ideen von Bürgerjournalismus im Web 2.0, die in den vergangenen Jahren geäußert wurden.
Ich sage „könnte“, denn mir scheint, dass der PR-Krieg in der deutschsprachigen Bloggerszene, die mir bekannt ist, schon längst geführt wird – von einem Heer von „Freiwilligen“. Durchaus „einseitig“, freilich nicht auf der Seite der Israelis.
Das Web 2.0 ist schon lange eine Art Kriegsschauplatz. Man muss schon sehr blauäugig sein, um das Ideal einer „elektronischen Agora“, eines Marktplatzes der Ideen und Meinungen einer demokratischen und aufgeklärten Gegenöffentlichkeit, auf dem sich Habermas und Marshall McLuhan die Hände reichen, weiter aufrechtzuerhalten.
Was ich in den vergangenen drei Wochen an Blogbeiträgen, Kommentaren und Einträgen in Internetforen zum Krieg im Gazastreifen gelesen habe, hat mir die Sprache verschlagen: Verzerrungen, Verleumdungen, persönliche Beleidigungen von Andersdenkenden, Häme, antisemitische Verschwörungstheorien, regelrechte Hetze, als hätte die Hamas selbst Regie geführt …
Jeder meiner Versuche, eine Reaktion darauf zu formulieren und ins Netz zu stellen, ging in einem Strudel von Emotionen unter – deswegen habe ich dies sein lassen. Eine Selbstbeschränkung, die man von vielen selbst ernannten Querdenkern, kritischen Hinterfragern und Israelkritikern wohl nicht erwarten kann.
Verblüffend war wie bei jeder Eskalation im Nahost-Konflikt: Man liest sich durch das Web 2.0, stellt fest, dass – abgesehen von Blogs wie Lizas Welt, die eine entschieden proisraelische Haltung vertreten – schätzungsweise 90 Prozent sich in mehr oder weniger qualifizierter Weise gegen Israel und seine Politik aussprechen. Aber trotzdem behaupten nicht wenige dieser Leute an gleicher Stelle, dass sie gerade etwas tun, das absolut untersagt und ausgeschlossen sei.
Angehörige der Mehrheit geben sich als unterdrückte Minderheit aus. Und unter diesen finden sich genügend, die sich in ihrer Selbstdarstellung vorgeblich vor der „Antisemitismuskeule“ ducken, um dann um so eifriger Begriffe wie „Holocaust“ und „Genozid“ zu missbrauchen und den unsäglichen Israel-Nazi-Vergleich aufzugreifen. (Der Gewinn eines solchen „Tabubruchs“ ist bekannt: Dieser soll als „mutig“, „subversiv“ oder „unangepasst“ erscheinen.)
Selbst wenn ich ein Gegner der militärischen Bekämpfung der Hamas wäre (was ich nicht bin), würde mir dieses Missverhältnis zu denken geben. Ich würde auch genau prüfen, mit wem ich gerade Allianzen eingehe, wen ich verlinke, wer in meinem Blog auf welche Weise kommentieren darf. Die „Sache“ heiligt nicht die Mittel.
Aber vielleicht bin ich selbst nur ein Nostalgiker, der von der elektronischen Agora träumt.