„Gesellschaft, Diskurs, Disko“: Ein neues Print-Magazin im Schnelldurchlauf
Frisch eingetroffene Magazine landen in der Redaktion meines Hauptauftraggebers auf der Theke der freundlichen Mrs. Head of Welcome. Als gestresster Freelancer komme ich natürlich kaum dazu, dem ganzen Input an nüchternen bis hochglänzenden Print-Produkten meine bezahlte Aufmerksamkeit zu schenken. Meist muss während der fünfminütigen Rauchpause ein Blick ins Impressum genügen – um zu erfahren, was die Konkurrenz gerade treibt: „Schau an, da ist der jetzt gelandet!“ Und dann wird das Heft mit der Hand gewogen: „Die haben auch ganz schön an Werbung eingebüßt!“
Bei neu erschienenen Titeln nehme ich mir zumindest die Zeit, die Nase reinzustecken. Ich meine das wörtlich: Der Riechtest entscheidet für mich über den ersten Eindruck – schließlich neige ich dazu, beim Lesen im Bett einzuschlafen. Da will ich nicht mitten in der Nacht von benzolähnlichen Gerüchen aus Träumen von Ölgruben und Industriebrachen gerissen werden.
Beim Geruchstest landet die erste Nummer des Berliners Magazins „Blank“ – Selbstbeschreibung „Gesellschaft, Diskurs, Disko“ – im unteren Mittelfeld. Was für eine deutsche Heftproduktion schon gar nicht so schlecht ist. Die Duftnote: frisch bezogene Büroräume, eine Woche gelüftet. Die Redaktion, nach dem Scheitern des Magazins „Face“ aus der alten Mannschaft minus Chefredakteur gegründet, hat sicher kein Geld für Aroma-Experten, die ich hinter den Wohlgerüchen vermute, die manche amerikanischen Magazine verströmen. (Für Hinweise dazu wäre ich dankbar.)
Pilger, Hippies und schlechte Laune
Die erste Hürde ist genommen, nun darf sich „Blank“ eine Zigarettenlänge Zeit nehmen, meine Aufmerksamkeit zu fesseln. Ich starre zunächst auf das Cover. Dort leidet Jesus an der Dornenkrone, meine Augen dagegen schmerzt die schwere Lesbarkeit der Typo auf seinem Antlitz. Nach eingehender Konzentration kann ich das Wort „Indierock“ entziffern. Bloß nicht. Mit dem nölenden Geheule von Wimps will ich nichts zu tun haben, mit der Titelgeschichte dazu ebenfalls nicht. Gottes Strafgericht: sofort!
Beim Scannen des Inhaltsverzeichnisses stolpere ich erst mal über das Wort „Pilgerstätten“, was schlimmen „Spiegel“-Sprech vermuten lässt. Aus Angst vor Floskeln wie „Alle Jahre wieder pilgern Style-Jünger zu den Konsum-Tempeln …“, die mir fast körperliche Schmerzen bereiten, wage ich nicht, die so angekündigten großformatigen Fotos samt Begleittexten zu studieren.
Der erste Fund beim Durchblättern der Lifestyle-Illustrierten: ein übellauniges Gesicht, das aus dem Kapuzenpulli lugt. Poetry-Slammer Jan Off. Es geht anscheinend um Protest, deswegen wohl die schlechte Laune. Die Headline dazu, „Und ewig rauschen die Wälder“, gibt mir Rätsel auf. Gleich weiter zu: „Guter Bayer, böser Bayer“, einem Interview mit Hans Söllner, dem alten Hippie. Also noch mehr Rausch. In den Pull-Quotes steht allerdings irgendwas von Schluss mit lustig: „Selbsttherapie“, „aufhören, eine Junkie-Gesellschaft zu sein“, „ich möchte nichts feiern“ … die Krise, die verdammte Krise streckt noch die unbeugsamsten Rebellen nieder.
Aber wenn Söllner genug vom Feiern hat, dann bleibt mehr für andere übrig, zum Beispiel für Ex-Viva-Moderator Nilz Bokelberg, der nach dem Umblättern als nächster Kapuzenmensch mit verquollenen Augen und fettigen Haaren von der Seite starrt. Der omnipräsente Gammellook im Brad-Pitt-„Kalifornia“-Style war vor fünf, sechs Jahren maßgeblich schuld daran, dass ich dem Berliner Clubleben Adieu sagte. Bokelberg war anscheinend seitdem nicht mehr zu Hause, um mal die Garderobe zu wechseln.
Lustige Taschenbücher nach dem Zähneputzen
Darum schnell weg – zur Kapuze Nummer drei? Nein, ein frisches Gesicht: Julia Zange, Suhrkamps Vorstoß nach Berlin, im Interview. Das erste hervorgehobene Zitat – „Ich habe keines der neuen feministischen Bücher gelesen“ – lässt auf eine Frage nach „Feuchtgebiete“ schließen. Oje, die Arme. Das muss sie allerdings alleine durchstehen …
… denn Eile ist geboten, die Zigarettenglut ist fast am Filter. Daher zum Endspurt in die „Buch- und Blattkritik“. Die Spalten dieser Rubrik werden von großen Fotografien von Bücherregalen an den Rand gedrängt. Anstelle der Texte beginne ich die Buchrücken zu überfliegen: „Walt Disneys lustige Taschenbücher“ und die „Acid“-Anthologie von Rolf Dieter Brinkmann und Ralf-Rainer Rygulla, Pseudowissenschaft-Schund wie „Leben nach dem Tod“ und mehrere Bände Philosophie aus dem altehrwürdigen Felix-Meiner-Verlag, dazwischen noch Jack Kerouac. Hey, das könnte bei mir zu Hause sein! Ein Pluspunkt.
Mein letzter Blick vor dem Ende der Zigarettenpause trifft dramaturgisch passend …
… den Höhepunkt:
Bücher haben bei vielen meiner Freunde den Ruf, langweilig und einschläfernd zu sein. Umständliche Sätze, endlose Beschreibungen anstatt fesselnder Geschichten. Das muss verflucht noch mal nicht sein! Ein Ansatzpunkt. Durch den Bezug zum Autor oder die Hintergründe, warum dieser oder jener Roman geschrieben wurde, kann Verborgenes sichtbar und ein Buch zu mehr als einem Buch werden. Kinderleicht. Mir geht es jedenfalls so. Hier der erste Versuch, einen Roman für dich lebendig zu machen.
Der Kollege, der „mir“ das im Vorspann seiner „Kolumne“ auf grünem Hintergrund schreibt, wird im Impressum als der Literatur-Redakteur von „Blank“ aufgeführt. Rührend. Ich verspüre sofort den Wunsch, ihm ebenfalls zum Einschlummern aus den „Lustigen Taschenbüchern“ vorzulesen. Aber erst, wenn er sich die Zähne geputzt hat.
Fazit nach meinem Schnelldurchlauf: Ich gehöre einfach nicht zum Zielpublikum. Und von griesgrämigen Kapuzenmenschen reichen mir die Exemplare, die ich morgens in der Berliner Straßenbahn sehe. Die richtig kritischen Worte zu „Blank“ überlasse ich aber einer strengeren Leserin. Die hat offensichtlich auch dafür am Kiosk bezahlt.