Werner Herzog, noch jünger, wohl Ende 30, steht im südamerikanischen Dschungel während der Dreharbeiten zu „Fitzcarraldo“ (1982) und formuliert seine Eindrücke von Natur als kollektivem Mord. Elend, Verfall, Zerstörung: Die Vögel singen hier nicht, sie kreischen vor Schmerzen, sagt der Regisseur. Man sieht ihm die Empörung an.
Taking a close look at what’s around us, there is some sort of a harmony. It is the harmony of overwhelming and collective murder. And we, in comparison to the articulate vileness and baseness and obscenity of all this jungle, we in comparison to this enormous articulation, we sound and look like badly pronounced and half-finished sentences out of a stupid suburban novel …
Nur wenn sie ihren zugedachten Zweck nicht erfüllen, tritt Schrift als Schrift in Erscheinung, wird Sprache selbst hörbar …
Eindeutigkeit einer Sprache der Gewalt
„Das ist das“, sagt Michael Vronsky, der von Robert De Niro gespielte Charakter in „Die durch die Hölle gehen“ („The Deer Hunter“, USA 1978), als er zum Gewehr greift, mit dem er beim Jagdausflug einen Hirschen erlegen wird. „Das ist das“ meint: Diese Handlung, das Erschießen eines Hirschen mit einem Gewehr, bedeutet genau das – das Töten eines Tiers mit einer Waffe.
In der freien Natur, fern der Zivilisation und ihrer sozialen Komplexität, ihrer Missverständnisse und Mehrdeutigkeiten findet dieser Mann zu einer eindeutigen Sprache zurück. (Später, nach den grauenhaften Erlebnissen in Vietnam, wird dem Veteran Vronsky dieses elementare Verhältnis von Sprache, Handeln und Umgebung entgleiten … unter anderem darin liegt die Katastrophe des Vietnamkriegs, die Michael Ciminos sogenannter Antikriegsfilm präsentiert: die Unmittelbarkeit der Erfahrungen des Mannes in der Wildnis ist verloren gegangen, die Regeneration durch Gewalt, zentrales Motiv des amerikanischen Frontier-Mythos, funktioniert nicht mehr. Dafür darf der Hirsch am Leben bleiben.)
Menschenopfer fürs TV-Abendprogramm
Ein nächtlicher Anruf vor ein paar Jahren: X, ich hatte sie gerade kennengelernt, meldete sich von Drehaufnahmen aus Frankreich, etwas Schreckliches sei passiert. Bei Nachtaufnahmen für einen Liebesfilm fürs TV-Abendprogramm war der Lkw mit dem Kameramann mit einem Pkw zusammengestoßen. Die Fahrerin starb bei dem Unfall, ihre Kinder, die im Auto saßen, überlebten. X war aufgelöst: Wegen eines miesen Films musste jemand sterben. Ich war nicht einverstanden mit dem, was ich da heraushörte. Denn sollte das umgekehrt heißen, ein guter Film sei Menschenopfer wert?
Ich musste dabei an „Fitzcarraldo“ denken. „Das ist das“, in diesen Worten des Deer Hunters liegt auch der Wunsch des Werner-Herzog-Publikums, dass man Filmbilder gegen echte Erfahrungen eintauschen kann. Obsessiv sei der Regisseur, heißt es, er schone weder Mensch noch Material, am wenigsten sich selbst. Die Geschichten über Kinskis legendäre Wutanfälle, die Indianer, die während des Drehs den Schauspieler töten wollten, die Verletzten, der Verlust an Menschenleben, all diese Anekdoten addieren sich für Fans zum Filmerlebnis, sie erweitern den Text.
Doch wer hat nun die Darsteller im Dschungel umgebracht? Eine mörderische Natur, von der Herzog erzählt? Oder tödliche Filmaufnahmen? Löst sich die Schuldfrage auf, wenn man beides, Naturerlebnis und Filmproduktion, nur möglichst nah zusammenführt?
„Rescue Dawn“: Eine wahre Geschichte
Eine „wahre Geschichte“, in vielerlei Hinsicht: „Rescue Dawn“ (2006), Herzogs Vietnamkriegsfilm über die Flucht des deutschstämmigen Kampfpiloten Dieter Dengler aus dem Gefangenenlager in Laos, kommt ebenfalls fast ohne CGI aus. Aber nicht ohne die Berichte vom Survival-Training der Crew im thailändischen Dschungelcamp. „Männer, ich verlange Unerträgliches von euch“, glaubt man den Regisseur als Guerilla-Kommandaten rufen zu hören, „aber nichts, was ich nicht selbst tun würde!“ Und das tat er auch. Herzog hat mitgehungert, er stieg mit Christian Bale und Steve Zahn in Blutegel-Flüsse, er legte selbst Hand an, um die Parasiten auf den Körpern der Schauspielern anzubringen. (Die verlinkten Flickr-Fotos wurden von einem Mitglied des Teams geschossen.)
Im Making-of des Films, das sich auf der DVD befindet, kann man Christian Bale dabei zusehen, wie er versucht, der Tortur der Filmaufnahmen etwas Postives abzugewinnen. „Werner? Er ist ist großartig. Trailer als Unterkünfte? Gab’s nicht, wir schliefen im Dschungel, ich musste Würmer essen, in eine lebende Schlange beißen, alles echt. Werner: ein Supertyp!“ (Aus der Erinnerung zitiert, aber sinngemäß.) Der britische Hollywoodstar im Dschungel – ohne Limousine, Luxushotel, Catering -, auch darin liegt eine Gratifikation für den Zuschauer. Denn: Wer richtig arbeitet, macht sich schmutzig.
„Rescue Dawn“ ist ein wunderschöner, ein guter Film.