Kennen Sie diesen Film? Menschen mit Schutzmasken in Mexiko-Stadt.
Foto: Playadura (cc)
Bildbearbeitung und Ansteckung
Hilft Bildbearbeitung gegen Schweinegrippe? Ist der Photoshop-Filter eine Art Schutzmaske? Etwa gegen die Realität einer Bedrohung, die als unsichtbar gilt, weil sie nur unter dem Mikroskop sichtbar wird, kleiner noch ist als das Pixel eines digitalen Bildes? Ich verstehe kein Spanisch, deswegen kann ich die Diskussion zu diesem Foto nicht nachvollziehen. Ist es eine Übung oder der Ernstfall, verlassen diese Leute in Mexiko-Stadt die Gebäude, um sich zu Hause, in ihren Wohnungen, einzusperren? Die Fotografie scheint bearbeitet worden zu sein – sollte dies die Schutzmaßnahme des Fotografen sein (an seinem Computer zumindest ist er Herr der Lage), verrät sie die Ansteckung durch eine andere Form der Epidemie: das apokalyptische Gefühl.
Man muss die Bilder der Apokalypse nicht erfinden, sie sind abgelegt im kulturellen Archiv, sie wurden von Journalisten beschrieben und von Literaten, im Kino bilden sie eine ganze Gattung, zitierbar. In Kommentaren zu Artikeln, die die Ausbreitung der Grippe über Mexiko hinaus thematisieren, finden sich vielerlei Anspielungen auf Vorbilder in der Fiktion. Der Ausdruck „Captain Tripps“ macht die Runde – das ist der Kosename für die Pandemie, die in Stephen Kings Horror-Roman „The Stand. Das letzte Gefecht“ von 1978 die Erde weitgehend entvölkert.
Aber das Foto lässt an eine Reihe anderer Endzeit-Filme denken, an die vielen Verfilmungen von Richard Mathesons Buch „I Am Legend“ (1954), an David Cronenbergs „Rabid“ (1977), an Danny Boyles „28 Days Later“ (2002), in denen Infizierten nicht etwa sterben, sondern eine unheimliche Aktivität entfalten, zu tollwütigen und nach Blut dürstenden Kreaturen mutieren – und Biss um Biss das Virus weitertragen.
Erotik der Infektion. Oder die Schutzmaske als Mode-Accessoire?
Foto: Esparta (cc)
Ansteckende Affekte der Masse
Neben der Angst vor Krankheiten steckt in diesen Horrorfilmen auch die vor der Menschenmasse an sich. Gewiss, in der Masse verbreiten sich die Erreger bedingt durch die körperliche Nähe rasend schnell. Aber in der Menge der vielen fürchtet auch das Individuum, das sich ansonsten souverän wähnt, die Auslöschung seiner angenommenen Einzigartigkeit, die Überwältigung seines Intellekts durch niedrigste Instinkte.
In Gustave Le Bons Klassiker der Massenpsychologie von 1895 sind es die Affekte, unkontrollierbare Emotionen, die in Ansammlungen von Menschen von einem zum anderen überspringen, dabei die Grenzen des Ichs durchstoßen und selbst den kultiviertesten Einzelnen verwildern lassen. In der Masse wird man, Mann, laut Le Bon zum „Primitiven“, zum Kind, zur Frau – zu all dem, gegen das der Autor und seine Leser (darunter Sigmund Freud, aber auch Mussolini und Hitler) sich selbst definierten.
Es heißt, der Anblick demonstrierender Arbeiter habe den französischen Arzt zum Verfassen der „Psychologie der Massen“ veranlasst – für den Bürger, der Le Bon war, stellte sich die öffentliche Versammlung protestierender Proletarier nicht als Ausdruck eines politischen Interesses dar, sondern nur als Enthemmung und Verlust von Selbstkontrolle.
Die verpestete Stadt als Utopie sozialer Kontrolle
Auf dem oberen Foto aus Mexiko-Stadt sieht man freilich keine außer Kontrolle geratene Menschenmenge. Diese Leute wirken diszipliniert, sie halten Abstand voneinander, sind durch Masken vor Infektion geschützt, jeder und jede für sich. Es ist das Bild von einer in Auflösung begriffenen Masse. Man darf annehmen, dass sich bald alle, die sich auf diesem öffentlichen Platz zusammen vorgefunden hatten, zum Schutz in ihre Privatsphäre zurückgezogen haben.
Die Vorstellung der „verpesteten Stadt“ fordert, wie Michel Foucault in „Überwachen und Strafen“ schreibt, neben Fantasien von Exzess und Anarchie das politische Konzept einer lückenlosen Disziplinierung heraus, die „Utopie der vollkommen regierten Stadt/Gesellschaft“. Die Durchdringung des Alltags mit Maßnahmen der Kontrolle wird im Katastrophenfall von den Betroffenen nicht einmal mehr als äußerer Zwang erlebt. Es ist ein Ausnahmezustand, sie sind einverstanden, es geht schließlich um ihre Sicherheit.
Nachtrag: Schweinegrippe-Panikmache 1976
1976 kam es in den USA unter Soldaten in Fort Dix, New Jersey, zu Infektionen mit Schweingrippe, die letztlich ein Todesopfer forderten. Erkrankungen außerhalb des Armeestützpunktes wurden nicht diagnostiziert. Dennoch wollten die US-Behörden die Bevölkerung dazu bewegen, sich impfen zu lassen – und dies gegen den Rat der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Insgesamt 40 Millionen Amerikaner folgten damals dem Aufruf zur Impfung, wie der Schweizer „Tages-Anzeiger“ berichtet: „Die Schweinegrippe-Epidemie, die nie ausbrach“.
Die zwei Spots in diesem Video, das ich gerade auf YouTube entdeckt habe, waren Teil der Kampagne der US-Gesundheitsbehörden: „Get a shot of protection – a swine flu shot.“ In Anbetracht der damaligen Bedrohungslage kann man sie nur als Panikmache bezeichnen. (Edit: Das YouTube-Video wurde gelöscht.)