Ich liebe die Textgattung „Ich habe mich lange erbittert gegen Facebook gewehrt, doch dann wurde ich schwach, und es ist gar nicht so schlimm“. Allerdings habe ich bisher noch nirgendwo eine Version dieser Rechtfertigungsrede gelesen, die solch weitläufige theoretische Runden dreht, wie in der „Netzkolumne“ der „Texte zur Kunst“-Herausgeberin und Kunstkritikerin Isabelle Graw.
Monatelang habe ich mich geweigert. Für mich war „Facebook“ stets der Inbegriff von allem Ablehnenswerten – Kommunikation um der Kommunikation willen, Kontakte, die den eigenen Marktwert steigern und in dieser wahrhaft „projektbasierten Polis“ (Boltanski/Chiapello) als zentrale Währung fungieren, Ausverkauf der eigenen ästhetischen Vorlieben sowie Preisgabe von intellektuellen und affektiven Kompetenzen und dies auch noch unentgeltlich! Bei Facebook schien es sich tatsächlich um einen Apparat zur Abschöpfung von Leben zu handeln und dies unter der (perfiden) Prämisse eines Austausches unter „Freund/innen“, die sich gegenseitig darüber informieren, was sie „gerade machen.“ Meine Bedenken waren aber nicht nur ideologischer Natur – ich hatte schlicht Angst vor noch mehr Ablenkung und letztlich zeitverschwendenden Aktivitäten … (der Rest auf TzK: „Du bist nicht allein“)
Als sei sie zum Zweck der Selbstkritik vor ein Tribunal getreten, zu dem sämtliche schlecht gelaunte Vertreterinnen einer Politkunst-Theorie-Szene geladen wurden, die keine Haltungsschwäche angesichts des Feindes dulden. Es gilt strengstes Affirmationsverbot.
Einiges in Graws Text kann ich jedoch durchaus nachvollziehen, etwa die Klage über Zeitverschwendung oder ihre Selbstbeobachtungen zur Verführung durch ein soziales Netzwerk im Internet.
Ihre Erkenntnis aber, „Freunde“ auf Facebook seien keine echten, ist eher schlicht. Oder lässt mich hier (Achtung, jetzt wird’s kompliziert) nur der Zynismus des sich in Bezug auf seine Erwartungshaltung an soziale Beziehungen flexibel machenden Social-Network-Veteranen einen Hauch von Naivität vermuten? Doch wer seit Jahren in der Kunstszene unterwegs ist wie Graw, weiß sicherlich, mit emotional aufgeladener Unverbindlichkeit und Etikettenschwindel im Sozialleben umzugehen. Das lernt man nicht erst im Web 2.0.
Ich bin übrigens noch nicht auf Facebook, mein Widerstand ist ungebrochen … gebrochen.