Eine Frau, Mitte 30, ganz in Rot gekleidet, saß auf einem Barhocker an einem einzelnen Tisch. Sie wandte den Menschen, die das Café in Prenzlauer Berg betraten und zur Theke gingen, den Rücken zu – doch nur halb, sodass die anderen Gäste einen Blick auf das Display ihres Notebooks werfen konnten. Dort waren Fotos einer Nackten zu sehen.
Sie selbst war das Modell der Aktaufnahmen, arrangiert in einer Bildergalerie, durch die sich klickte. Exponiert und dennoch unantastbar: So stellte sie sich an diesem öffentlichen Ort dar, durch den viele eilen, die aus der nahe gelegenen U-Bahn-Station Eberswalder Straße strömen und hier rasch einen Kaffee trinken. Welche Bilder von einer großstädtischen Existenz liefen dabei als Diashow in ihrem Kopf ab?

Wenn man exaltiert im „Cookies“ tanzte, stand er am Rand der Tanzfläche und hielt die Digitalkamera drauf, kämpfte man an der Bar des Clubs „103“ um ein Getränk oder machte man sich zum Vergnügen der anderen lächerlich, konnte man sicher sein, dass er die kleine Show auf Video festhielt. In der losen Party-Clique, der er sich gelegentlich anschloss, war sein Filmarchiv Gesprächsthema. Er hatte seit Ende der 90er mehrere Jahre des Berliner Nachtlebens dokumentiert.
Sprach man ihn auf die Videos an, fragte ihn etwa, ob er nicht einen Film aus den besten Szenen zusammenschneiden und vorführen könnte, lächelte er nur verlegen. Eine Antwort blieb er schuldig. Ich vermutete damals, dass nicht einmal er selbst das Material sichtete. Die Kamera zu führen, dachte ich, war die Weise dieser schüchternen Person, einen Platz zu finden.
Dieses Bild von ihm wackelte erst, nachdem ich seine Exfreundin kennengelernt hatte, sie hatte ihn gerade verlassen. Zum Abschied, erzählte sie, habe er ihr eine CD-ROM überreicht. Der Videofilm darauf zeigte ihn selbst, allein am Küchentisch sitzend, er weinte.