Ich war in den 80er-Jahren Teenager, die Apokalypse-Fantasien der deutschen Friedensbewegung in der letzten Phase des Kalten Krieges fanden in mir als linken Jugendlichen einen dankbaren Abnehmer. Den Rest an Untergangsvisionen lieferten „Mad Max“- und Horrorfilme sowie die „Spiegel“-Lektüre. Wenn etwa ein außerplanmäßiges Feuerwerk über meiner Heimatstadt donnerte, erwartete ich eine Schrecksekunde lang, von einem Atomschlag gegrillt zu werden. Oder, was als Vorstellung schlimmer war, mit anderen Strahlenopfern bald entstellt durch die Straße zu wanken.
Vermutlich berührt mich auch der Anblick der Die-in-Einlagen, die Darstellung massenhaften Todes und verstümmelter Gestalten, der beim Berliner Zombie-Flashmob am vergangenen Wochenende Teil des Programms war, deshalb so eigentümlich. Es ist ein Flashback aus den 80er-Jahren.
Für die jüngeren Flashmob-Teilnehmer sind neben Splatter-Filmen und Michael Jacksons „Thriller“-Video wohl eher die Schreckensbilder aus den heutigen TV-Nachrichten eine Bildquelle für den spielerischen Umgang mit dem Massensterben.*
Politik oder Spaß: Wem gehört die Straße?
Als politischer Aktivist, der mit ernster Gesinnung sein Anliegen auf die Straße bringt, wäre ich unter Umständen ein wenig sauer auf den unersättlichen Verbrauch (All you can eat!) aller erdenklichen Protestformen durch Flashmob-Spaßvögel. Der Passant, der etwa mit einem falschen Leichenhaufen von Aids-Aktivisten konfrontiert wird, soll schließlich durch eine solche symbolische Aktion an die Krankheit erinnert werden, die in den Medien kaum bebildert wird – und nicht an tollpatschige Untote aus dem Mitternachtsfilm. (Dass Konkurrenz das Geschäft belebt, gilt für die Ökonomie der Aufmerksamkeit wohl nicht uneingeschränkt.)
In einem Blog-Bericht las ich nun, dass am Potsdamer Platz zwischen Flashmob und Politik ein Kampf um die Besetzung des öffentlichen Raums entbrannt ist. Die Zombies stießen dort auf einen Stand der Grünen, die die Passanten ihrerseits einer brutalen musikalischen Folter aussetzten: Von einer benachbarten Bühne drang Mittelalter-Musik in einer Lautstärke, gegen die die Flashmob-Beschallung erst mal nicht ankam.
Die Musiker seien dann aber so kulant gewesen, ihren Auftritt kurz zu unterbrechen: Nur einen Moment lang diesen fürchterlichen Ausdruck der Technik- und Moderne-Feindlichkeit der deutschen Öko-Bewegung zum Verstummen gebracht zu haben – politischer kann eine vermeintliche Spaß-Aktion kaum sein.
Nachtrag, 4. November 2009: Im Nachhinein betrachtet, ist es grob vereinfachend, die Weltuntergangsangst im Westdeutschland der frühen 80er-Jahre in erster Linie der Friedensbewegung anzulasten (wie ich das im ersten Absatz getan habe). Nach dem Scheitern der Abrüstungsverhandlungen zwischen den USA und der UdSSR und der Nachrüstung mit Raketen auf beiden Seiten war die Stimmung damals aus gutem Grund am Boden. Daran hat mich ein Artikel über das sowjetische Atomwaffen-Kontrollsystem Perimetr erinnert, den ich vor Kurzem als Lesetipp verlinkt habe.