Einer erhebt sich, seine Stimme zittert, er spricht für Millionen: „Facebook, wir gehören dir, ausweglos, Pixel für Pixel unserer Existenz. Und du, du lässt uns in Stich!“ Das war jetzt eine sehr freie Übersetzung einer Passage aus „Give Us Our Data, Facebook“ von Michael Arrington. Der Mann ist Gründer und Chefredakteur von TechCrunch, eines Tech-Blogs aus Silicon Valley. Vor drei Jahren wurde er von „Time“ zu einem „Titanen“ des Internets ernannt. Im Original liest sich die Stelle so:
Facebook is becoming the center of our Internet lives, more so each day. Dissatisfied users really don’t have a choice to leave Facebook any more. Giving up Facebook, for tens of millions of people at least, would be no more palatable than giving up their telephone. That means people can’t really vote with their feet any more. (…) So much of the Internet’s architecture has been rewritten in the last year to leverage and exploit Facebook Connect and other Facebook data and tools that the decision is no longer really entirely theirs. There are real health-of-ecosystem issues arising that must be addressed now or the Internet as a whole will suffer.
Sehr witzig. Arringtons Anliegen in diesem Artikel, Facebook solle dafür sorgen, dass Nutzerdaten exportiert werden können, ist zu unterstützen. Aber der Tonfall des Volkstribunen, mit dem der „Titan“ versucht, das Gefühl der Ohnmacht und der Empörung des Facebook-Plebs in Worte zu fassen, ist unfreiwillig komisch. Und die Vorstellung, es könnte tatsächlich so sein, dass Nutzer dieses sozialen Netzwerks und Webmaster außerhalb sich in derartige Abhängigkeit begeben, lässt mich hin- und herpendeln: zwischen Häme und Grusel.
Meine Erfahrungen mit Facebook sind außerdem andere. Mein Online-Leben findet vor allem außerhalb statt, das der meisten meiner Freunde und Kollegen aus der Medien-Welt, mit denen ich darüber vernetzt bin, schätzungsweise ebenfalls. In meinem Umfeld wird, anders als in dem von Arrington offenbar, „mit den Füßen abgestimmt“. Jetzt, wo die Anfangs-Euphorie vorbei ist, bemerke ich einen Rückzug vieler. Immer mehr Account-Leichen, die selten oder gar kein Lebenszeichen mehr von sich geben, stehen ein paar Extrem-Netzwerkern gegenüber, die Kontakte sammeln, um Abnehmer für Eigenwerbung zu gewinnen.
Gerade die, die versucht haben, an dem Einerlei aus Bürowitzen, selbstbezüglichen One-Linern, Urlaubsfotos und „Weißt du noch!“-Videos vorbei Interessantes zu verlinken, haben sich abgewendet. Das Popularity-Contest-Prinzip, dem Facebook unterliegt, fordert und fördert Anpassung an einen angenommenen Publikumsgeschmack. Ein Algorithmus sorgt dafür, dass in der Ökonomie der Aufmerksamkeit des Netzwerks belohnt wird, wer sich an die Regeln hält. Der Rest wird ausgeblendet. Das frustriert, langweilt und macht wenig Lust auf Experimente.
Diese Beobachtungen sind wie gesagt die meinen, sie sind nicht repräsentativ. Niemand, den ich kenne, führt „A Life on Facebook“ wie in diesem YouTube-Video, das sich gerade viral verbreitet (Edit: wurde gelöscht). Und vielleicht findet man in anderen Freundes-Netzwerken auf Facebook News-Streams, die die Vielfalt des Internets spiegeln, und aufregende Diskussionen. Bis auf Weiteres vertraue ich jedenfalls mehr auf die Blogs, die ich mit meinem RSS-Reader abonniert habe.