Eine britische Jugendzeitschrift vom Ende der 30er-Jahre stellt den Körper als Firma vor. Für Gehirnfunktionen wie Erinnerung und Wahrnehmung sind Angestellte zuständig. Nur um die Gefühle mag sich in diesem Betrieb niemand kümmern.
Dieser Kopf ist eine Männerdomäne. Die einzige Frau, die der hierarchisch geordnete Betrieb duldet, ist Telefonistin. Und doch wurde ihr die Möglichkeit gegeben, die Macht komplett zu sabotieren. Streikte sie, wären alle Leitungen tot, fiele die Kommunikation des Gehirns mit dem Rest des Körpers in sich zusammen. Das „Fräulein vom Amt“ müsste nur die Verbindung zum Rückenmark kappen.
Lückenlos arbeitet dieser Apparat ohnehin nicht. Es gibt zwar Kameraleute, die die Augen kontrollieren, einen Archivar, der Erinnerungen ablegt, Steuermänner, zuständig für die Extremitäten, und ein Wissenschaftler im weißen Kittel schwenkt im Labor Reagenzgläser, um Geruch und Geschmack zu analysieren.
Aber wo ist das Büro für Gefühle? Welcher Funktionär managt Freude, Liebe, Angst und Hass? Dafür wurde keine Stelle eingeplant. Die Masse der Arbeiterschicht jedoch darf man weiter unten, in den Eingeweiden sowie an den Muskeln und Knochen vermuten.
Personalabbau im Gehirn
Aber die Angestellten in den oberen Etagen dieses Gesellschaftskörpers haben keinen Grund für Überheblichkeit. Sie sollten sich stattdessen Sorgen machen: Auch im Gehirn droht Personalabbau. Ein erster Arbeitsplatz wurde schon wegrationalisiert. In der „Abteilung für automatische Handlungen und Routinetätigkeit“, links neben dem Sekretariat, steht kein Mensch mehr. An seiner Stelle sieht man ein Gerät. Es könnte eine Rechenmaschine sein.
Das wirft eine Frage auf: Wann wurde dieses Bild veröffentlicht? Im Flickr-Account, dem ich es entnahm (Quelle: x-ray delta one, cc, meine Bearbeitung), fand ich keine genaue Datierung. Aber über eine Google-Suche nach dem Text „Machine That Measures Brain-Waves“, den die Illustration begleitet, habe ich eine Literaturangabe entdeckt. Demnach stammt die Schnittzeichnung des Kopfes wahrscheinlich aus dem britischen Jugendmagazin „Modern Wonder“ vom 4. März 1939.
Verletzliche Körper
Eher beiläufig – als Infotainment – wird damals den Jungs, die das Zielpublikum sind, eine ganze Gesellschaftsordnung beigebracht. Auch die Vorstellung des Körpers als einer Maschine. Und ein Bild des Denkens als Management. Gerade das ist zukunftsweisend. Beraterliteratur erweckt heute noch den Eindruck, man könne im eigenen Kopf wie ein Boss auftreten.
Dennoch wird es im Erscheinungsjahr nur noch wenige Monate dauern, dann ist diese Ausgabe von „Modern Wonder“ reif fürs Altpapier. Die Belegschaft wechselt: Großbritanniens Kriegswirtschaft braucht Frauen als Arbeitskräfte an der home front, und das in Massen.
Ältere Freunde, Brüder und Väter der jugendlichen Leser werden derweil in den Kampf gegen Nazi-Deutschland geschickt. Sie sind keine Menschmaschinen, ihre Körper, die sie dem feindlichen Feuer aussetzen, nicht aus Metall.
Links
- Man darf annehmen, dass der namenlose Zeichner des Kopfes von den Illustrationen und Beilagen aus den Büchern des Arztes und Autors Fritz Kahn (1888-1968) abgeschaut hat, zum Beispiel von der „Biologie des Bratenduftes“ oder „Der Mensch als Industriepalast“ (1927). Beide Bilder finden sich in einem Artikel von Spiegel Online (2010).
- „Der Mensch als Industriepalast“ in einer Videoanimation (2010) von Henning Lederer. Mehr zu Fritz Kahn und Mensch-Maschine-Hybriden publiziert der Designer im Blog Machinatorium.
- Weitere populärwissenschaftliche Artikel aus jahrzehntealten Magazinen sowie Retrofuturismus präsentiert das Blog Modern Mechanix.