Husni Mubarak redet und redet, und trotz der Übersetzung von Al Jazeera English verstehe ich nicht ganz, welchen Sinn die Worte des Präsidenten im ägyptischen Staatsfernsehen ergeben. Die Menschenmenge am Tahrir-Platz weiß dagegen die Rhetorik zu deuten, die Rufe werden lauter, steigern sich zu Sprechchören: „Hau ab, hau ab!“ – Mubarak tut genau das nicht, was viele erwartet hatten: seinen sofortigen Rücktritt bekannt geben.
Aus dem Twitter-Stream, der nebenherläuft, erfahre ich, dass die wütenden Protestierer ihre Schuhe in die Höhe halten, anscheinend eine Geste der Beleidigung. Auf dem Split Screen aber sind Details nicht zu erkennen, man sieht auf den etwa zwei Dritteln der Bildfläche, die die Übertragung vom Platz in Kairo einnimmt: manchmal helle Flecken, die Köpfe erahnen lassen, dann wieder eine amorphe Masse. Die Regie des Senders stellt eine Interpretation des Geschehens dar: der Diktator, ein isoliertes Gesicht im Dekor der Repräsentation, klar abgegrenzt von einem Volk von Millionen.
Die Netzaktivisten und Meinungs-Multiplikatoren, denen ich auf Twitter folge, sind erregt, sie stimmen tippend in die Empörung mit ein. Der Affekt ist von der Masse auf die einsamen Streiter vor den Bildschirmen übergesprungen. Tyrannenmord-Anspielungen drehen Retweet-Runden, manche marschieren schon im Geiste durch Ströme von Blut. Jeff Jarvis ist da eher noch verhalten: „Fucker. Blood on his hands“, schreibt er. Aaron Bady, ein amerikanischer Blogger, der durch seine WikiLeaks-Analysen unter dem Nick Zunguzungu bekannt wurde, lobt die Entscheidung von Al Jazeera, in die Rede des Präsidenten die Geräusche vom Tahrir-Platz hineinzumischen. Die Mubarak-Rede vergleicht er mit der letzten des rumänischen Diktators Nicolae Ceausescu 1989 (der folgte bekanntlich bald das Erschießungskommando).
Der Einfall mit dem Split Screen findet auch allerorts Zustimmung. Ich bin mir da nicht sicher, die TV-Inszenierung spielt mir zu sehr mit filmischen Ideen und damit mit den Emotionen des Publikums. Natürlich, die ägyptische Demokratiebewegung verdient Sympathie, und ein Ende des Mubarak-Regimes wäre zu begrüßen. Aber ich habe den Eindruck, Al Jazeera übertreibt die Parteinahme, der Sender aus Katar versucht, mich als Zuschauer zu manipulieren.
Nachtrag: Fehler korrigiert, der Tahrir-Platz heißt in englischer Übersetzung tatsächlich offiziell „Liberation Square“, auf Deutsch „Platz der Befreiung“.