Wenn die Teilnehmerzahl eines Protests als Machtdemonstration gilt, ist die Methode der Zählung selbst politisch. Ein Reuters-Bericht über die Schätzungen in Hongkong liefert Hintergründe.
Der Ärger über das Auslieferungsgesetz brachte in Hongkong riesige Menschenmengen auf die Straße. Doch wie viele Leute kamen dabei zusammen? Für den Protest am 16. Juni nannten die Organisatoren zwei Millionen Teilnehmer, allerdings über eine Länge von acht Stunden verteilt. Die Polizei schätzte den Marsch zur Spitzenzeit auf 338.000 Personen.
Die Behörde berechnete außerdem, wie die „New York Times“ schreibt, nur die Demonstranten auf der vereinbarten Route ein. Wer in einer Neben- oder Parallelstraße mitlief, blieb außen vor.
Keinen Durchblick bei den Zahlenspielen ermöglichte die dpa. Die Presseagentur bezog die Angaben der Organisatoren und der Polizei aufeinander, ohne auf die unterschiedlichen Weisen der Schätzung hinzuweisen. Und mit der dpa-Meldung landete der Vergleich in vielen deutschen Medien.
Ringen um Deutungshoheit
Dafür hat Reuters der Suche nach der richtigen Zahl einen interessanten Artikel gewidmet: In „Measuring the masses“ äußern sich auch Wissenschaftler zur Frage, wie sich in der dicht bebauten asiatischen Metropole Menschenmassen berechnen lassen. Der Text enthält die eingangs erwähnten Zeitrahmen.
Klar wird dabei: Bei der Bestimmung der Teilnehmerzahl einer solchen politischen Großveranstaltung geht es nicht nur um Risikoanalyse, sondern auch um Deutungshoheit. Und die Methode der Messung gerät selbst zum Politikum. Mit zwei von siebeneinhalb Millionen Einwohnern Hongkongs (Zensus 2018) wäre der Protestmarsch eine starke Machtdemonstration der Demokratiebewegung.
Gut finde ich an dem Reuters-Beitrag, dass darin Infografiken tatsächlich ihren Job machen, also den Inhalt veranschaulichen und erweitern. Derzeit sehe ich im Online-Journalismus zu viel Multimedia-Storytelling, in dem sich Grafiken nur um sich selbst drehen.
Gefunden habe ich den Artikel über The Overspill. Das Blog bietet auch einen täglichen Newsletter, vor allem mit Lesetipps zu Tech-Themen.