Roland Emmerichs „2012“ habe ich mir vergangene Woche im Kino angesehen. Gibt es etwas zum Film zu sagen, das über das hinausgeht, was anderswo in Rezensionen zu lesen ist? Kaum. Liefert er visuell mehr, als der Trailer verspricht? Ein wenig. Die Flüge durch die in sich zusammenstürzenden Städte, an Wolkenkratzern vorbei, die sich in ihre Bestandteile auflösen, zeigen, worum es im Genre Katastrophenfilm in den guten Momenten geht: um Karneval, wie ihn Michail Bachtin („Rabelais und seine Welt“) versteht. Also um den symbolischen Umsturz einer herrschenden Ordnung und deren temporäre Ablösung durch eine neue, die sich exzentrisch zur gewohnten verhält. Die Standpfeiler der alten Ordnung werden in diesem Ausnahmezustand umgestoßen, sind aber als solche noch zu erkennen.
In diesen Filmsequenzen hätten die Macher von „2012“ mehr wagen können: Der Betrachterstandpunkt bleibt eindeutig, als Zuschauer weiß man immer, wo oben und unten ist. Man behält sozusagen den Boden unter den Füßen, während auf der Leinwand eine Welt zerfetzt und durcheinandergewirbelt wird.
Wie man den apokalyptischen Umsturz visuell umsetzen kann, lässt sich etwa bei „Poseidon Inferno“ (Trailer) beobachten. 1972 hat der Spielfilm die Welle von tricktechnisch hochgerüsteten Katastrophen-Spektakeln der 70er-Jahre ins Rollen gebracht. (Dass die Stühle und Tische nach dem Umkippen des Luxuskreuzers wie festgenagelt an der Decke hängen bleiben, während die Passagiere in die Tiefe stürzen, ist natürlich ein Ausrutscher voll unfreiwilliger Komik.)
Beängstigend wirkt „2012“ bei aller Weltuntergangsstimmung nicht. Georg Seeßlen schreibt zu Recht in seiner Filmkritik, „es sieht vielmehr so aus, als würde der Zehnjährige seine Modelleisenbahn oder sein Legoland kaputtmachen, um sich anschließend in einem Computerspiel zu verlieren“. Steven Spielbergs Neuverfilmung von „Krieg der Welten“ (2005) hat da neben den Special Effects atmosphärisch viel mehr zu bieten.
Was Emmerichs Spektakel außerdem nicht schafft: mich über längere Zeit für die Charaktere zu interessieren. Nach spätestens eineinhalb Stunden der 158 Minuten langen Zerstörungsorgie, in denen sie eine gefährliche Situation nach der anderen knapp überstanden hatten, wurden sie mir egal. Ihren Überlebenskampf verfolgte ich danach aus einer eher klinischen, analytischen Distanz .
Dass der Film auf der Seite der Identifikation versagt, wenig Einstiegsmöglichkeiten für die Empathie der Zuschauer bietet, war den Machern wohl bewusst. Darum verdichteten sie das Emotionale in sehr kurzen Szenen, die das eigentlich Obszöne an diesem „disaster porn movie“ darstellen. Die Tränen, die den Figuren blitzschnell und üppig aus den Augen schießen und über die Gesichter fließen, wenn sie mal wieder eine bestürzende Nachricht vom Tod einer geliebten Person erhalten, wirken nicht nur melodramatisch „unecht“ oder „überzogen“, sie lassen mich an Ejakulat denken: Affekte als Money-Shots einer Gefühlspornografie.