Videos von Kämpfen im Irak und in Afghanistan sind im Internet ohne Ende verfügbar. Viele stammen direkt aus Militärbeständen. Operation Iraqi Freedom, die offzielle Website der von den USA geführten Besatzungstruppen im Irak, hat sogar einen eigenen YouTube-Channel eingerichtet – dieser wird allerdings nur sparsam mit neuen Bildern versorgt.
Auf dem Schleichweg gelangen mehr Videos ins Web 2.0. Wer auf YouTube „Iraq war“ als Suchbegriff eingibt, wird schnell fündig. Auch von Soldaten gedrehte Amateurvideos landen dort, manchmal flott wie ein Musikvideo zusammengeschnitten und mit einem schnellem Rocksong wie „Black Betty“ von Spiderbait unterlegt. Die nächtliche Razzia in Häusern von Zivilisten als lustvolle Grenzüberschreitung?
Auf Schockvideo-Plattformen wie LiveLeak.com sieht man Bilder von Bombenabwürfen der US-Armee, vom Einsatz der Bordwaffen von F-16-Kampfflugzeugen gegen „insurgents“, Aufständische, offenbar automatisch im Cockpit aufgezeichnet. Die Menschen am Boden sind nicht deutlich zu erkennen, sie sind kaum mehr als Pixelhaufen, die bald von Einschüssen niedergemäht oder von Explosionen ausgelöscht werden. Währenddessen hört man Stimmen aus dem Off, anscheinend Gespräche zwischen dem Piloten und seinem Hauptquartier. Nüchtern wird der Ablauf des Angriffs erörtert. Gelegentlich auch weniger nüchtern: „Impact!“ (Edit: Link entfernt, Video nicht mehr vorhanden).
Selten wird man auch Zeuge eines richtigen Feuergefechts: verwackelte Aufnahmen einer Handkamera, die „aufregend“ sind, denn echte Menschen schießen aufeinander – im Kommentarteil lobt einer der LiveLeak-Besucher dann auch: „intense“. Und doch wirken die Bilder zugleich „unecht“, distanziert – beim Betrachten von Spielfilmen wie „Black Hawk Down“ und „Der Soldat James Ryan“ hat man das Gefühl, man sei näher dran. Die Darstellungskonventionen von neueren Kriegsfilmen aus Hollywood beeinflussen auch die Wahrnehmung dokumentarischer Filmbilder.
Dschihad im Videoloop
Die Gegenseite ist ebenfalls präsent auf Videoportalen: zum Beispiel Ansar al-Sunnah, eine Gruppe sunnitischer Islamisten, die das Netz mit Bildern von Attacken auf US-Konvois und -Patrouillen versorgt, für gewöhnlich geloopt und mit pathetischer Musik unterlegt. Oft handelt es sich um Bilder vom Einsatz selbst gebauter Sprengladungen, die am Wegesrand versteckt und zur Explosion gebracht werden, wenn Fahrzeuge der Koalitionstruppen in der Nähe sind. Die IEDs (improvised explosive device), wie sie auf Englisch heißen, sind für einen Großteil der Verluste der westlichen Truppen im Irak verantwortlich.
Audiovisuelle Gewalt
In der Menge von Kriegsvideos, die ich in den vergangenen Tagen gesehen habe, gab es einige mit unerträglichen Bildern von Verwundungen und verstümmelten Leichen. Dennoch hat sich das obige (Edit: gelöscht, nicht mehr ausrufbar) wegen seiner absurden Grausamkeit festgesetzt: Ein angeblich von Aufständischen gehaltener Gebäudekomplex in Falludscha wird aus der Luft mit sogenannter Joint Direct Attack Munition (JDAM) bombardiert, laut begleitendem Text während der Kämpfe 2004.
Nachdem das Angriffsziel zerstört wurde, setzt Gelächter ein. Es wirkt künstlich. Deshalb dachte ich zunächst, es handelt sich um einen Fake, der Sound wurde hinterher reingemischt. Dass dies nicht der Fall ist, lässt sich an diesem Video derselben Explosion aus einem anderen Blickwinkel erkennen, in dem es ebenfalls zu hören ist. Ein Soldat hat tatsächlich sein trauriges Lachen ins Megafon gebrüllt.
Für wen? Für die Toten, sollte sich jemand in dem Gebäude aufgehalten haben – sicher nicht. Als Abschreckung für Aufständische, die sich noch in anderen Häusern verschanzt haben – das halte ich als Maßnahme „psychologischer Kriegsführung“ für sehr wahrscheinlich. Es liegt auch nahe, zu fragen, ob der Ablauf dieses Angriffs inklusive Lachen nicht direkt für das Video geplant wurde.
Eine Ökonomie der Aufmerksamkeit
Dann wäre dieses Video nicht nur eine Abbildung, es wäre selbst eine Kriegshandlung. Die Front des Krieges verliefe, vermittelt über das Internet, über die Grenzen des Irak hinaus bis zu dem Browser, auf dem der Leser meines Blogs das Video betrachtet. Nicht nur im übertragenen Sinn: Das LiveLeak-Mitglied, von dem die Bilder stammen, hat vermutlich verschiedene Gründe, warum er Videos ins Netz stellt, einer davon ist sehr wahrscheinlich der Ruhm, den er in seiner Community (Edit: Link entfernt, Channel nicht mehr vorhanden) durch hohe Nutzerzahlen und eine Vielzahl von Abonnenten erwirbt.
Dieser Mann mit Spitznamen „Capt. Ali“ behauptet von sich, er sei in Bagdad geboren worden und hätte als Übersetzer für das United States Marine Corps gearbeitet. Er scheint mir eine Art Zwischenhändler für Bilder vom Irakkrieg und von Militäroperationen gegen Taliban in Afghanistan zu sein. Eine Anlaufstelle für Soldaten, die „heiße Ware“ zu bieten haben. Und diese womöglich extra für den Zweck der Publikation auf „Alis“ LiveLeak-Account anfertigen.
Ist es rechtens, solche Videos zu verlinken oder gar einzubetten?
Ich werde es zur Dokumentation weiterhin tun. Im Vergleich zu den Tausenden von Zuschauern, die Kriegsvideos auf Videoplattformen finden, nehmen sich die Besucher meines Blogs wohl gering aus.
Keine Frage besteht für mich aber dahingehend, dass die Verflechtung von Krieg, Medien und Internet, die man im Web 2.0 beobachten kann, mit Begriffen wie „Propaganda“ oder „Inszenierung“ nicht zu fassen ist. LiveLeaks Eigenwerbung lautet: „Redefining the media“. „Redefining war“ müsste man noch hinzufügen.