Auf die Kalender amerikanischer Ureinwohner bin ich nicht so gut zu sprechen. Ende der 70er-Jahre wurde ich als junger Mensch darauf vorbereitet, dass die Welt 1992 untergeht: Die Endzeit war angebrochen, ich hatte noch etwas mehr als ein Jahrzehnt zu leben – so stand es zumindest in einem Buch über Indianer-Prophezeiungen, das meiner Großtante in die Hände gekommen war. Leidenschaftlich berichtete sie mir vom nahenden Ende.
Die alte Dame war äußerst lebenslustig, pflegte aber als Hobby einen Hang zum Düsteren und Übersinnlichen. In ihrem Bücherschrank fand sich alles, was vielen Leuten den Verstand vernebelt: mittelalterliche Zauberbücher, Nostradamus, Parapsychologie, Psi, Leben nach dem Tod, Erich von Däniken.
Die Werke von Däniken habe ich mir damals besonders gern von ihr ausgeliehen, waren sie doch eine Art Vorläufer zu Mystery- und „Indiana Jones“-Filmen: Sie boten spannende Geschichten von unbeugsamen Forschern, die von der Wissenschaftler-Community ignoriert und verlacht werden, von verschollenen Städten im Urwald und von geheimnisvollen Schriften, die von der Redaktion der Bibel herausgekürzt worden waren.
Verkaufstrick der Pseudowissenschaft
Unausgesprochen steckt in all diesen Veröffentlichungen ein riesiges Vertrauen in die Überlegenheit der westlichen Zivilisation. Spaßbremsen, die keine Anhänger der Präastronautik sind, könnten es als Rassismus auslegen. Denn Fans dieser Pseudowissenschaft glauben zwar alles Mögliche, aber nicht, dass außereuropäische Gesellschaften in vorgeschichtlicher Zeit aus eigener Kraft irgendwelche Baudenkmäler hinbekommen hätten. Das schafften sie nur mit Entwicklungshilfe durch Außerirdische.
Der Verkaufstrick dieser Art von Literatur: Der Leser bekommt den Eindruck vermittelt, zu einer kleinen Schar von Auserwählten zu gehören. Er tritt an die Seite des ausgegrenzten Wissenden, dessen Buch er verschlingt. Das macht ihn zu einem Rebellen, eine begehrenswerte Position. Er blickt der „Wahrheit“ ins Gesicht, sie erhebt ihn über all die Menschen um ihn herum.
Und das Beste: Dazu ist keine Vorbildung vonnöten, keine Leistung, die beim Laien mehr Frust als Lust erzeugt, etwa das Studium dröge wirkender wissenschaftlicher Publikationen. Halten die doch einen Prozess des Wissenserwerbs fest, der eher selten Spannungsbögen bietet. Und Helden, mit denen sich der Leser identifizieren kann, fehlen meist auch. Wie langweilig! Stoff für Bestseller bietet dagegen Unterhaltungsliteratur, die faulen und ungebildeten Menschen das Gefühl gibt, schlauer als der Rest zu sein.
Mit Schwingungen in die Endzeit: Apokalypse 2012
Ich weiß heute nicht mehr, aus welcher Überlieferung die Visionen vom Weltuntergang stammten, mit der mir meine Großtante Angst eingejagt hatte. Aber 1992 muss man als Termin jedenfalls als widerlegt betrachten. Dafür steht als Nächstes 2012 an. Dann jährt sich nicht nur der Untergang der „Titanic“ zum 100. Mal, eine Flut von Veröffentlichungen auf dem Esoterik-Markt beschwört außerdem den Anbruch einer „Wendezeit“, eines „Goldenen Zeitalters“ oder gar eines „Dimensionswechsels“.
Den Stichtag für die Apokalypse lesen deren Verfasser aus dem Ende eines Zyklus im Kalendersystem der Maya heraus. „An das Jahr 2012 knüpfen Esoteriker eine Heilserwartung, sie rechnen mit einer neuen Ära des Lichts, der Schwingungen oder der Kristalle, da hat jede Gruppe ihre eigene Metapher“, sagte der Maya-Forscher Nikolai Grube in einem Interview der „Zeit“. Andere sind pessimistisch und erwarten eine Katastrophe.
Dass das Thema viele bewegt, kann man schon an der Zahl von Reaktionen auf einen Beitrag des Astronomen Florian Freistetter auf dem Portal ScienceBlogs erkennen. Zu „Kein Weltuntergang am 21.12.2012“ haben sich mittlerweile über 1600 Kommentare angesammelt. Freistetter besuchte 2008 auch einen Däniken-Vortrag und nahm ihn in seinem Blog auseinander. Dabei ging es – o Wunder! – ebenfalls um 2012, das Jahr, in dem sich die Aliens mal wieder blicken lassen sollen.
Emmerichs Katastrophenfilm zur Esoterik-Welle
Vielleicht ist Roland Emmerich ebenfalls mit Spukgeschichten aus der Fantasie jener aufgewachsen, denen die Moderne und ihre Wissenschaften als zu trostlos und langweilig erscheinen. Den Bücherschrank meiner Großtante hat er jedenfalls in Teilen vergolden können. Mit „Stargate“ hat der Regisseur 1994 die Präastronautik als Aufhänger für einen Science-Fiction-Film gewinnbringend auf die Leinwand gebracht.
Sein gerade angelaufener Katastrophenfilm lockt mit dem Titel „2012“ auch die Freunde der Esoterik und Pseudowissenschaft ins Kino. Der Blockbuster hält sich aber nicht lange mit angeblichen Weissagungen der Maya auf. Also war’s nur Etikettenschwindel aus Gründen der Werbung, Bluff und Betrug? Das dürfte für die Betroffenen aus der Szene keine unbekannte Erfahrung sein.
Aber auf Einsicht braucht man nicht warten, am wenigsten bei den fanatischen Vertretern: Endzeitsekten lassen sich auch durch nicht eingetretene Prophezeiungen kaum von ihrem Glauben abbringen.
Gemeinsam mit meiner Großtante hätte ich mir zu ihren Lebzeiten Emmerichs Special-Effects-Inferno übrigens nicht anschauen können. Sie hatte schon bei jedem Gewitter eine Heidenangst.
Nachtrag, 18. November 2009: Auf Basic Thinking ist zu lesen, dass die Marketing-Kampagne für „2012“ wohl ein wenig zu überzeugend geraten ist – mit Orson-Welles-Effekt: Die Nasa bekam massenhaft Anrufe von panischen Menschen mit der Frage, ob tatsächlich eine Katastrophe drohe. Woraufhin die amerikanische Luft- und Raumfahrtbehörde eine extra FAQ-Webpage eingerichtet hat: „2012: Beginning of the End or Why the World Won’t End?“.
Nachtrag, 19. Dezember 2009: Einestages, das Kuriositätenkabinett von SpOn, hat eine Galerie mit Endzeit-Prophezeiungen zusammengestellt. Man erfährt dort, welche Ängste der vermeintliche „Planet Nibiru“ und den Halleysche Komet ausgelöst haben, von der Sorge um den „Millennium-Bug“ zur Jahrtausendwende, von Charles Mansons Endkampf-Fantasien Ende der 60er-Jahre und den Wahnvorstellungen anderer Sekten, die es nicht in die Pop-Geschichte geschafft haben.
Bildquellen
Zeichnung ganz oben: Der Cartoon von der Wiederkehr des Maya-Gottes Quetzalcoatl stammt von Zachary Veach: „Mayan Apocalypse“ (Lizenz: by-nc-sa).
Das Foto der Statue auf der Osterinsel hat Brad Stabler geschossen: „Kissing the ground“ (Lizenz: by-nc-sa).