Vor sehr langer Zeit, es gab noch keine Digitalkameras und ich hatte viel Gel im mit Wasserstoffperoxid gebleichten Haar, konnte ich in Waver-Discos einen merkwürdigen Tanzstil beobachten:
Die Nachtgestalten gingen zum Sound von Anne Clark oder The Cure vor- und rückwärts, zwei, drei Schritte nur. Dabei bewegten sie ihre gesenkten Arme synchron, als hätten sie einen Stab in der Hand. Freunde aus der Szene witzelten, die Tänzer schaufelten ein Grab.
Mit den ersten Klängen von „Temple of Love“ (YouTube) wurde der Friedhof aber stets überrollt. Punks, die sich am Rande des Dancefloors langweilten, warfen sich zum Hit der Sisters of Mercy in den Nahkampf. Die Goths und Waver, die nicht flüchteten, ließen das unsichtbare Ding fallen und hoben die Arme. Nun galt es, Körpernähe abzuwehren.
Blitzlicht regeneriert Lebensenergie
Pogo dürften auch heutige Steampunks fürchten. Mit den New Romantics, Cybergoths und anderen Untergruppen der schwarzen Szene mischen sie sich jedes Jahr zu Pfingsten in Leipzig. Fotos im Kunstmagazin Monopol zeigen ihre aufwendigen Kostüme. Zum Posieren sind sie bestens geeignet, zum Anfassen eher nicht.
Daniel Völzke, der den begleitenden Artikel über das Wave-Gotik-Treffen geschrieben hat, hält einen weiteren Widerspruch fest: „Eigentlich sind Jugendkulturen tot. Aber ausgerechnet die morbideste Szene präsentiert sich am lebendigsten.“
Der Grund für so viel Energie ist vermutlich banal: In der Social-Media-Ära wirkt Blitzlicht auch auf Schattenwesen wie ein Zauber, der alle Trefferpunkte regeneriert.
Eine Frage lässt Völzkes Text offen, sie interessiert mich sehr: Ist die Grabschaufel immer noch die Luftgitarre der Waver?
Totengräber zum Anfassen
Dass Gothic-Rocker anderswo engagierter tanzten als die Waver in meiner Heimatstadt, zeigte mir damals das Video zu „Church of No Return“ (YouTube) von Christian Death. Ich kaufte die Platte, nachdem der Clip im Independent-Musikmagazin „off beat“ von Tele 5 gelaufen war. Mit Warnung des Moderators, er könne verstörend wirken.
Angestiftet durch einen Privatsender, wie uncool! Aber das war Ende der 80er und ist hoffentlich verjährt. Dafür stimmte mich das Sirenengeheul am Anfang des Songs auf den Endzeitsound Berliner Technobunker ein.
Innenansichten der schwarzen Szene bietet das Blog Spontis. Seine Motti wechseln. Ich wurde mit „Jeder stirbt sein Leben“ begrüßt.