Am 1. Februar 1968 erschoss der Polizeichef von Saigon einen Gefangenen auf offener Straße. Die Aufnahmen der Exekution sind ins globale Bildarchiv eingegangen. Sie stehen bis heute für den Gewaltexzess im Vietnamkrieg – und verfolgten den Täter sein ganzes Leben lang.
Die Vorgeschichte: Ende Januar 1968 starteten Verbände der nordvietnamesischen Armee und Vietcong-Guerillaeinheiten einen überraschenden Angriff auf mehr als 100 Städte im Süden Vietnams. Die sogenannte Tet-Offensive kostete die Angreifer zwar beträchtliche Verluste, brachte aber einen Propaganda-Erfolg – der kommunistische Norden machte deutlich, dass er trotz Jahren des Krieges noch nicht gebrochen war.
Die TV-Bilder vom Kampf um die US-Botschaft in Saigon (YouTube) ließen bei den Zuschauern in den Vereinigten Staaten Zweifel aufkommen: Wie viel Kontrolle hatte General Westmoreland, damals Oberbefehlshaber der US-Truppen in Vietnam, noch über den Fortgang des Krieges?
Exekution vor den Augen der Weltöffentlichkeit
Ebenfalls Schockwirkung erzielte eine Fotografie, die am 1. Februar 1968 entstanden war, zwei Tage nach Beginn der Kämpfe in der südvietnamesischen Hauptstadt. Es dürfte kaum jemand geben, der sie nicht kennt: Sie zeigt, wie der südvietnamesische General Nguyen Ngoc Loan, zu dieser Zeit Polizeichef von Saigon, auf offener Straße den Kriegsgefangenen Nguyen Van Lem hinrichtet. Dieser war angeblich als Vietcong-Kämpfer an der Ermordung von Polizisten und ihren Familienangehörigen beteiligt gewesen.
Als der Polizeichef die Waffe abfeuerte, wusste er Kameras auf sich gerichtet. War dies ein Ansporn zur Tat? Dafür gibt es Hinweise: „Some of those who knew him said General Loan would not have carried out the prisoner execution if reporters and photographers had not been at the scene“, heißt es im Nachruf in der „New York Times“ auf Loan, der 1998 an Krebs starb.
Unter den anwesenden Presseleuten waren der NBC-Kameramann Vo Suu, der die Tat filmte, und der AP-Fotograf Eddie Adams (1933-2004), der das berühmte Bild davon schoss. Sie brachten den Polizeichef und sein Opfer vor die Augen der Weltöffentlichkeit. Mit Folgen, die nicht vorauszusehen waren.
Das Foto und der Film von der Exekution sind mittlerweile als Ikonen ins globale Bildarchiv eingegangen. Sie stehen stellvertretend für den Exzess an Gewalt während des Vietnamkrieges, und das auch losgelöst von dem Ort und Zeitpunkt der Aufnahme.
Gebrandmarkt als Kriegsverbrecher
Mit der Kamera nahezu den Augenblick des Todes festzuhalten: Das ist, auch wenn es makaber klingt, ein preiswürdiger Glücksfall beim Fotojournalismus in Krisengebieten. Für Adams bedeutete die Fotografie einen Karrieresprung. Noch im selben Jahr wurde das Bild von der World Press Photo Foundation in Amsterdam als Pressefoto des Jahres ausgezeichnet, ein Jahr später erhielt der Kriegsfotograf dafür den Pulitzer-Preis für „Spot News Photography“.
Dennoch war Eddie Adams zeitlebens nicht glücklich mit dem „Saigon Execution“-Bild und der Bedeutung, die es erlangt hatte. Die Aufnahme, die aus einem Reflex heraus entstanden war, verdeckte sein restliches Werk. Andere Arbeiten hielt der Fotojournalist für wichtiger, etwa „Boat of No Smiles“ (1979) über vietnamesische Flüchtlinge.
Schuldig fühlte sich Adams wegen der Nachwirkungen, die das Bild auf das Leben des Polizeichefs hatte. „The general killed the Viet Cong; I killed the general with my camera“, schrieb der Fotograf 1998 im „Time Magazine“. Nguyen Ngoc Loan konnte tatsächlich nie mehr aus dem Schatten des Fotos treten, das ihn als Kriegsverbrecher brandmarkte.
Nach dem Krieg, in dem er sich eine schwere Verletzung zugezogen hatte, versuchte er einen Neustart als Einwanderer in den USA und eröffnete eine Pizzeria in Virginia. Doch dort holte ihn seine Vergangenheit ein. Anfang der 90er-Jahre wurde bekannt, wer Chef des Restaurants war. Nguyen Ngoc Loan erhielt daraufhin Drohungen, die Gäste blieben aus. Adams selbst, der den Exgeneral dort besucht hatte, berichtete von einem Spruch, den jemand an die Toilettenwand gekritzelt hatte: „We know who you are, fucker.“
Eddie Adams‚ Geschichte als Dokumentarfilm
Ende Juli ist in den USA eine Dokumentation über die „Eddie Adams Story“ (Trailer) in den Kinos angelaufen. Als Sprecher von „An Unlikely Weapon“ (IMDb), so der Titel des Dokumentarfilms von Susan Morgan Cooper, wurde Kiefer Sutherland gewonnen. Ironischerweise der Schauspieler, der in seiner Rolle als Jack Bauer in der Serie „24“ irreguläre Kriegsführung und Folter im Kampf gegen den Terror zum Teil der TV-Abendunterhaltung gemacht hat.
Regisseurin Cooper erzählt in einem Interview von der schwierigen Produktion der Dokumentation: Von Adams, dem gefeierten Fotografen, konnte sie kein Filmmaterial auftreiben, das bessere Qualität bot als Amateurvideos. „An Unlikely Weapon“ wurde dennoch auf vielen Festivals ausgezeichnet.
Fiktionaler Höllentrip nach Vietnam
Auch „Political Affairs“, das Magazin der Communist Party of the United States of America (CPUSA), findet in einer Filmkritik lobende Worte für das Biopic über Eddie Adams (der durfte ja auch Kubas Diktator Fidel Castro zur Entenjagd begleiten). Die Rezension berichtet außerdem von einer Anekdote über eine mir bisher unbekannte Nachwirkung des „Saigon Execution“-Fotos: Das Bild bot Inspiration und Vorlage für das Russisch Roulette in dem Vietnamkriegsfilm „The Deer Hunter“ (1978), der in deutschen Kinos mit dem Titel „Die durch die Hölle gehen“ lief.
Adams … reported how renowned filmmaker Michael Cimino took a copy of his now infamous photo, folding it, and placing it in his back pocket. He kept it there for a full year. He used that photo as the centerpiece of his film „The Deer Hunter“. In a highly dramatic scene, Christopher Walken plays „Russian Roulette“ in a disturbing parallel to that photo. That scene, Adams said, still haunted him long after; it was the only film about that war and its aftermath Adams said he ever saw.
Interessant, wie das Bild vom Kopfschuss zu einer Kopfgeburt führte. Inszenierte doch Regisseur Cimino in seinem Spielfilm den Krieg in Südostasien als inneramerikanische Angelegenheit. Vietnam dient darin in erster Linie als albtraumhafte fiktionale Kulisse einer amerikanischen Erfahrung.
Künstlerische Neuinszenierung der Hinrichtung
Als Ikone hat das „Saigon Execution“-Bild auch in der bildenden Kunst Spuren hinterlassen. Ich verstehe etwa „Bang!“ (2002), eine Skulptur der Chinesin Xiang Jing, als Kommentar zu seiner Wirkungsgeschichte. Und zur dokumentarischen Funktion des Mediums Fotografie schlechthin. Das Kunstwerk zeigt zwei asiatische Frauen in westlicher Freizeitkleidung – die Figuren sind wie Schaufensterpuppen gestaltet – beim Nachstellen der Hinrichtungsszene.
Die Figur, der Nguyen Ngoc Loans Rolle gegeben ist, wendet sich von ihrem Opfer ab, ein höhnisches Grinsen in ihrem Gesicht. Als wollte sie sich über den Glauben lustig machen, Fotografie könne Wirklichkeit als Momentaufnahme unverfälscht für alle Zeiten festhalten.